Michael Jungmeier - Professor für Naturschutz und Nachhaltigkeit
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UNESCO Lehrstuhl
2020 wurde an der FH Kärnten der UNESCO Lehrstuhl* für Nachhaltiges Management von Schutzgebieten eingerichtet. Der UNESCO Lehrstuhl wird von FH-Professor Michael Jungmeier geleitet. Er ist Professor für Naturschutz und Nachhaltigkeit und verfügt über mehr als 30 Jahre internationale Berufserfahrung im Naturschutz. Insbesondere in der Planung und im Management von Schutzgebieten, wie Naturparken, Nationalparken oder Natura 2000 Gebieten.
Über Lehrgang, Naturschutz & aktuelle Forschungsthemen
Michael Jungmeier leitet den Masterlehrgang Management of Conservation Areas (MCA). Im Interview spricht er über Schwerpunkte im Lehrgang, den Naturschutz und seine aktuellen Forschungsthemen.
Wie kam es zu der Entwicklung dieses internationalen Masterlehrgangs?
Man hat so viele verschiedene Naturräume – von der Antarktis bis in den Regenwald und von unseren Almen bis zu den Fluss-Landschaften, so viele unterschiedliche Kulturen. Aber die Kernfragen sind überall relativ ähnlich: Welche Maßnahmen muss ich setzen und wie erkläre ich das allen Beteiligten. Wie kann man das Verständnis dafür schaffen, dass man einen Raum der Natur überlässt. In den Augen vieler Menschen ist das Luxus, so wird es zumindest wahr genommen. Hier ist eine große Kommunikationsleistung gefragt.
Der Lehrgang wurde aus der Praxis entwickelt. In meinem Planungsunternehmen habe ich fast 30 Jahre lang Schutzgebiete geplant. Da war ich jeden Abend in einem anderen Wirtshaus und habe diese Konflikte und Auseinandersetzungen persönlich erlebt und die Lösungsinstrumente dafür kennengelernt. Ich war international tätig – Europa, Afrika, Asien, und habe gesehen, in diesem Bereich gibt es keine Ausbildung.
Was sind die Schwerpunktthemen im Masterlehrgang MCA?
Das Kernstück des Masterlehrgangs ist eine Forschungsgruppe von 12 Leuten, die sich mit dem Thema Biodiversität beschäftigt und innerhalb dieses Themas mit Schutzgebieten, Naturparke, Nationalparke, Welterbe-Städte. Wir beschäftigen uns damit, wie man diese Schutzgebiete gut managen kann. Dazu gehört, wo diese Gebiete sind, welche Grenzen sie haben, welches Recht gilt, welche Angebote es für Besucher gibt und welche für die Wissenschaft.
Das gliedert sich auf, in einerseits sehr naturwissenschaftliche Fragen, etwa in Hinblick auf die Tierwelt und die notwendigen Maßnahmen. Aber andererseits auch in sozialwissenschaftliche und ökonomische Fragen. Wenn sich geschützte Elefanten gut vermehren und außerhalb des Schutzgebietes durch die Felder trampeln, ist dies eine wichtige ökonomische und soziale Frage. Man muss entsprechende Maßnahmen setzen, man braucht Kompensations- und Regelungs-Mechanismen. Es ist ein sehr breites Thema und wir versuchen das im Masterlehrgang abzudecken.
In welchen Bereichen arbeiten die Absolvent*innen? Wo kommen die Erkenntnisse aus dem Studium zur Anwendung?
Die Studierenden kommen bereits aus der Berufspraxis. Da gibt es 2 Archetypen – die einen, die bereits in Schutzgebieten arbeiten oder die in Institutionen arbeiten, die sich mit Schutzgebieten beschäftigen. Diese Absolventen sagen, dass sie sich in ihrer Arbeit leichter tun, weil sie einen theoretischen Rahmen haben.
Und es gibt Quereinsteiger, die schon einige Zeit etwas ganz anderes gemacht haben. Die ihre Erfahrung aus anderen Bereichen, wie Marketing, Banking oder Recht, nützen und für Schutzgebiete einsetzen möchten, als Berater*innen, Planner*innen zum Beispiel. Diese Karrierewege werden in dem Masterstudiengang auch berücksichtigt.
Zurück zur Forschung und damit zum Kernstück des MCA. Womit beschäftigt sich die Forschungsgruppe aktuell?
Aktuell beschäftigen uns zwei Themen: Die technischen Fragen, also in welchen Bereichen kann man mit Technik mehr erreichen als mit traditionellen Methoden. Im Moment sind wir dabei, die Biodiversitätstechnologien zu entwickeln. Das sind Instrumente, mit denen man die Evidenz und die Information über die Biodiversität technisch gestützt belegen kann.
Wenn man zum Beispiel mit einer Drohne einen Bereich von oben fotografiert, hat man mehr Information als wenn man den Bereich am Boden abgeht. Von Wäldern können in 3D digitale Zwillinge erstellt werden. Da bekommt man eine anschauliche Vorstellung davon, wie der Wald sich entwickelt, wie er wächst, welche Wuchsformen es gibt, welche Baum-Arten vorkommen. Bei so großen Flächen kann man das händisch nicht machen. Oder man stellt einen akustischen Locker auf und hat automatisch alle Vogelarten gespeichert, die vorkommen. Oder man nimmt eine Wasserprobe an der Drau und erhält das genetische Material und man kann genau sagen, welche Fische da geschwommen sind, ob es Verunreinigungen gibt. Man kann mit modernen Technologien sehr viel Evidenz generieren.
„Wir haben hier ein völlig neues Niveau von Genauigkeit.“
Durch den Einsatz von Technologien wurde der Naturschutz auf eine andere Ebene gehoben?
Wir hoffen, dass das passiert. Man kann zum Beispiel belegen, eine Blume war in den letzten 20 Jahren immer da und jetzt nimmt der Bestand sukzessive ab. Man kann Evidenz-basiert argumentieren. Eine Herausforderung sind die Datenmengen, die man in den Griff bekommen muss. Daran arbeiten wir in unserer Forschung.
Wir arbeiten aktuell an der Welt-Guideline für Biodiversitäts-Monitoring in Schutzgebieten. Die soll heuer noch erscheinen. Im Landesmuseum Kärnten werden Forschungsarbeiten mit Technologiebezug gezeigt. Man merkt, dass das Interesse für das Thema Naturschutz sich aufgrund der neuen technischen Möglichkeiten erhöht, was sehr positiv ist.
Gibt es ein Beispiel für erfolgreiches Biodiversitäts-Monitoring in Schutzgebieten?
Was wir im Landesmuseum zeigen werden: Es gibt an der Vellach einen Flussabschnitt, der sehr naturbelassen ist. Wir haben uns die Frage gestellt, was dort lebt. FH-Kollege Ulf Scherling hat mit einer hochauflösenden Drohne den Bereich abgeflogen.
Damit haben wir ein exaktes und präzises Bild der Vegetation. Die Vegetation ist immer die Einheit, die die anderen Lebewesen ganz stark bestimmt. Die erfassen wir immer als erstes. Dann haben wir Wasserproben entnommen um zu sehen welche Lebewesen im Wasser leben. Die Methoden sind sehr sensibel und es ist durchaus möglich, dass man auf diese Art neue Arten findet. Bodenproben wurden genommen von Hrn. Svara (Molekularbiologe). Vögel und Fledermäuse haben wir auch mittels Audiomotte untersucht.
Damit kann man genau messen wie viele Rufe eine Vogelart gemacht hat. Das ist eine neue Qualität, denn früher ist ein Ornithologe in das Schutzgebiet gegangen und hat gehört – das ist natürlich nicht so genau, enorme Fehlerquellen. Durch das Gerät ist jeder Ruf dokumentiert und wird grafisch als Sonogramm dargestellt und ist verifizierbar.
Das ist wichtig, wenn man zum Beispiel ein Schutzgebiet managen will. So ist es nachweisbar, dass ein Schutzgebiet „erfolgreich“ ist, dass es Sinn macht das Schutzgebiet zu erhalten.
„Schützen durch nützen – auch dieses Muster gibt es im Naturschutz.“
Ökosysteme und Gesellschaft – Spannungsfeld oder Synergie?
Eines unserer Forschungsfelder ist, den Zusammenhang zwischen Ökosystemen und gesellschaftlichen Systemen zu untersuchen. Dabei geht es um die Mensch-Umwelt-Beziehungen. Wie die Muster sind, wo man intervenieren kann. Konkret untersuchen wir im UNESCO Biosphärenpark Nockberge im Rahmen eines Projekts mit der „Akademie der Wissenschaften“ den Speik. Die Pflanze ist ein Endemit, kommt also im Wesentlichen in den Nockbergen vor.
Die ätherischen Öle der Pflanze sind seit dem Mittelalter bekannt. Der Handel mit Speik war sehr erfolgreich, die Pflanze wurde in die ganze Welt exportiert. Und dann kam der Naturschutz und hat die Pflanze geschützt. Später hat man herausgefunden, dass sich die Pflanze erst durch die Nutzung so stark ausgebreitet hat. Das heißt, dass die Nutzung gar nicht schädlich für die Pflanze war. Das musste erst allen (Naturschützern und Nutzern) erklärt werden. Wie die Pflanze ökonomisch sinnvoll genützt werden kann.
In der Forschungsarbeit kristallisieren sich viele Muster heraus, wie auch beim Speik – Schützen durch nützen. Das zeigt, dass man bestimmte Arten schützen kann indem man sie nützt. Was heißt das im Umgang mit der Natur, im Management?
Ebenso gibt es Ökosysteme, die ich durch nicht-nutzen schütze. Bei alten Wäldern, wie Buchenwäldern, ist das z.B. der Fall. Die Buche ist der europäische Baum. Es gibt in ganz Europa noch Buchenurwälder. Die sind jetzt als serielles UNESCO Welterbe geschützt. Diese Urwälder sollten natürlich nicht genützt werden. Das muss man auch wieder erklären, warum.
Die Natur zu schützen heißt auch die Artenvielfalt zu erhalten. Warum ist die Artenvielfalt so wichtig?
Da gibt es viele Gründe. Am plausibelsten ist der funktionale Grund. Wir als Gesellschaft sind mit den Ökosystemen verbunden. Die Ökosysteme haben regulierende Leistungen, wenn man an CO² denkt oder an Niederschläge (Hochwasser). Sie haben aber auch Produktionsleistungen, Bestäubung zum Beispiel. Extrem viele dieser Leistungen sind für uns ganz essentiell. Und die funktionieren aber nur, wenn es eine Mindestausstattung mit Arten gibt. Das sind hoch balancierte, komplexe Systeme. Die müssen in ihren Funktionen erhalten bleiben. Das kann man auch wissenschaftlich belegen.
Erleichtert der UNESCO Lehrstuhl die Forschungsarbeit?
Der UNESCO Lehrstuhl ist eingebettet in 900 Chairs auf der ganzen Welt. Es gibt ja auch UNESCO-Gebiete, also Welterbe Stätten, Biosphären-Parks, Geo-Parks. Da ist es hilfreich, dass man in die Wissensflüsse eingebettet ist. Und ein UNESCO-Lehrstuhl ist mit einer großen Reputation verbunden, das ist zum Beispiel beim Ansprechen von neuen Partnern oder in der Projektentwicklung hilfreich.
Ich möchte hier festhalten, dass die Rahmenbedingungen für Forscher*innen an der FH Kärnten wirklich gut sind. Maßgeblich durch die Arbeit und Unterstützung der Mitarbeiterinnen von FH Kärnten Research. Wünschenswert wäre es, wenn die Erkenntnisse aus unserer Forschung interdisziplinär verwertet werden würden und auch in anderen Studiengängen Beachtung finden.
Jeder 4. Quadratmeter in Europa ist Naturschutzgebiet.
Welches Thema aus dem Bereich Naturschutz liegt dir persönlich am Herzen?
Naturschutz hat viele Facetten. Wir beschäftigen uns damit auch im Siedlungsraum, so auch im Zertifikatslehrgang Naturschutzfachkraft. In Schutzgebieten aber hat man Räume, wo die Natur zugewiesene Priorität hat in ihrer Entwicklung. Das finde ich sehr aufregend, das beschäftigt mich sehr seit 30 Jahren. Interessant finde ich auch, dass diese Flächen so zunehmen.
Zurzeit sind 17% der Erdoberfläche streng geschützte Gebiete – das ist relativ viel. In Europa sind es 23% geschützte Fläche, also jeder 4. Quadratmeter. Umso mehr stellt sich die Frage, wie man da das Management macht, wie organisiere ich das, wie stelle ich sicher, dass ich auch die Naturschutzwirkung habe. Das ist ganz interessant, dass die Fläche der Schutzgebiete geht hoch, aber die Zahl der Arten nimmt ab. Irgendwas läuft da noch nicht ganz richtig.
Welches Naturschutzgebiet hat dich bisher am meisten beeindruckt?
Ich war im Rahmen meiner Beratertätigkeit hauptsächlich in Gebirgen unterwegs. Da hat man als Österreicher einen Vertrauensvorschuss von den Auftraggebern. Alpen, Karpaten, Kaukasus bis zum Himalaya – Gebirgsschutzgebiete gibt es viele schöne. Ich kann da jetzt kein konkretes benennen, da habe ich kein Ranking.
Was sind Highlights in der bisherigen Karriere – besondere Funde?
Durch die neuen Technologien passiert es uns jetzt sehr oft, dass wir neue Arten finden. Woran ich mich gerne erinnere ist der „Geotag der Artenvielfalt“ im Biosphärenpark Nockberge. Da bin ich jedes Jahr dabei. Zusammen mit Kolleg*innen schauen wir, was wir finden. Da sieht man auch, dass die Szene der Expert*innen wächst und sich entwickelt. Das ist sehr erfreulich.
Jeder 3. Quadratmeter der Erdoberfläche soll zum Naturschutzgebiet werden.
Wie siehst du die Zukunft des Bereichs Naturschutzgebietsentwicklung?
Wir haben jetzt noch die Aufgabe, dass 30% der Erdoberfläche geschützt werden müssen, das ist jeder 3. Quadratmeter. Das sagt die internationale Politik. Das ist eine Mammutaufgabe, weil die Einrichtung der Gebiete nicht leicht ist. Und die Gebiete müssen intelligent geführt werden, das ist eine langfristige Aufgabe.
Uns wird die Arbeit nicht ausgehen. Was wir beobachten ist, dass im Moment sehr viel als „nachhaltig“ verkauft wird. Nachhaltige Handy-Hüllen, Straßen, Kraftwerke. Das wirkt sich auf die Forschung aus und man muss darauf achten, dass hier keine Themen verschleiert werden. Die Schutzgebiete sind aber das, was wichtig ist, das ist eine Herausforderung.
Vielen Dank für das Gespräch!
* Der UNESCO Lehrstuhl wird an Institutionen verliehen, die sich in besonderem Maße um UNESCO-Werte (Förderung der internationalen Zusammenarbeit in Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation zur Erhaltung des Friedens und der Sicherheit) bemühen. Dabei bewirbt sich eine Akademische Institution, es wird eine Evaluation durchgeführt und der Lehrstuhl von höchster Ebene genehmigt.
Die Fachhochschule Kärnten ist daher ein aktives Mitglied des globalen UNITWIN/UNESCO Chairs Programms. Dieses umfasst derzeit 850 Institutionen in 117 Ländern. Wir sind stolz auf diese Partnerschaften.