Staatspreis Architektur 2023. Für die Fachwelt war die Verleihung ein Highlight.
Zumal in diesem Rahmen erstmals auch der Dr. Marita Schnepper-Preis für nachhaltige Architektur überreicht wurde.
be inspired.
And the winner are: Elvira Kinzner und Thomas Gruber! Mit ihrem Projekt „Lokalkolorit“ zeigen sie, wie die Zersiedelung von Ortschaften und damit die Versiegelung von Naturflächen eingedämmt werden können. Worum geht es bei Lokalkolorit und woher kommt überhaupt das Problem der stetigen Bebauung? Wir haben mit Elvira und Thomas gesprochen.
Hi Elvira und Thomas, herzlichen Glückwunsch zum Dr. Marita Schnepper-Preis für ökologische Architektur! Wie fühlt man sich so als Sieger*in?
Hallo und vielen Dank für die Glückwünsche! Wir freuen uns natürlich sehr über den Preis und die Würdigung unserer Ideen und Ansätze im Projekt, das mittlerweile vor 5 Jahren entwickelt wurde! Damals war die Zeit vielleicht noch nicht reif genug, deshalb fühlen wir uns nun mit diesem Preis für Nachhaltigkeit umso mehr in unserem Ansatz bestärkt. Sehr gefreut hat uns auch die Teilnahme unserer ehemaligen „Bauherrin“, mit der wir das Projekt entwickelt haben, an der Preisverleihung!
Durch die fortschreitende Zersiedelung werden auch in Österreich immer mehr Naturflächen versiegelt. Was denkt ihr, woher kommt dieses „Zersiedlungsdenken“?
Die Frage nach der Zersiedelung ist natürlich eine komplexe Thematik. Das Problem speist sich eher aus vielen unterschiedlichen Quellen statt aus einem einzelnem übergeordnetem Gedanken. Einen gewichtigen Beitrag daran hat wohl die zunehmend egozentrisch werdende Gesellschaft und das Zersplittern einer gemeinsamen in viele unterschiedliche parallele Realitäten. Dadurch gehen das Verständnis und die Verantwortung für einen kollektiven Raum abhanden. Nur ein Beispiel ist der steigende Bedarf an Wohn-Quadratmeter pro Person. Oft ist zwar die Rede von Wohnungsnot im Allgemeinen und vom daraus resultierenden Bauboom, doch wird der massiv gestiegene individuelle Flächenverbrauch nicht adressiert. Gründe sind unter anderem die gestiegene Anzahl an Einpersonenhaushalten sowie verwaiste Einfamilienhäuser.
Für „Lokalkolorit“ habt ihr ein Grundstück in der Gemeinde Ottensheim gewählt. Warum ausgerechnet dieses?
Wir sind über Umwege zu unserer „Bauherrin“ mit ihrem speziellen Grundstück in Ottensheim und der damit verbundenen Bauaufgabe gekommen. Aus dieser Konstellation heraus entwickelten wir die Masterthesis. Das kleine, steile, im Hochwassergebiet liegende Grundstück und der spannende Austausch mit ihr hat unser Interesse geweckt, ganz nach dem Motto „keine Aufgabe ist unmöglich“. So ist das Konzept für Lokalkolorit entstanden. Spinnt man die dort gewonnenen Gedanken weiter, sieht man natürlich schnell, dass es viele ähnliche Grundstücke gibt, die konventionell nicht oder nur umständlich verdichtet werden können. Denn wenn „Restflächen“ nicht herkömmlich bebaut werden können, ist das Ausweichen an den Siedlungsrand beziehungsweise das Aufschließen neuer Flächen die einfachere Lösung und führt daher zur weiteren Zersiedelung.
Lokalkolorit ist modular gedacht – nach innen (Wohnräume) und nach außen (Umgebung). Könnt ihr die wichtigsten Lösungen beschreiben – und wie sie der Zersiedelung und Versiegelung entgegenwirken?
Unsere Themen kreisten um den reduzierten Quadratmeter Verbrauch pro Person, die Kosten- und Rohstoffeffizienz sowie den Vorfertigungsgrad beim Bauen. Sich ändernde Umweltfaktoren und eine gewisse Anpassungsfähigkeit an wechselnde Gegebenheiten waren für den Entwurf ausschlaggebend. Bei Berücksichtigung dieser Aspekte eröffnen sich viele Möglichkeiten der Nachverdichtung in bestehende bauliche Situationen oder auf Restgrundstücken. Deshalb ist das vorgeschlagene System modular, feinkörnig und austauschbar. Die einzelnen Einheiten sind nicht wie Räume, sondern eher wie Möbel gedacht, die vom zentralen Mittelraum bedient werden können. Diese feingliedrige Ausformulierung ermöglicht eine sensible und individuelle Antwort auf den jeweiligen Ort und den Menschen. Damit hoffen wir, Interesse für andere Wohnformen zu wecken. Das Haus ist eigentlich wie ein Rucksack, der für die (Lebens-)Reise gepackt wird und je nach Lebenssituation seinen Inhalt verändert. Letztendlich müssen wir als Gestalter:innen die Menschen mit unseren Ideen ehrlich überzeugen und Vertrauen aufbauen, um eine Veränderung (in der Baubranche) anzustoßen.
Und aus welchen Materialen soll das Modulhaus einmal bestehen?
Die Materialisierung richtet sich hauptsächlich nach zwei Faktoren: Zum einen dem jeweiligen Kontext, in dem gebaut wird. Zum anderen der Transportfähigkeit. Um die Lieferfahrten auf ein Minimum zu reduzieren, sind die Module auf die gängigen Abmessungen des LKW orientiert. Durch das modulare System in leichter Holzbauweise können ein hoher Grad an Vorfertigung erreicht sowie einzelne Module bei Bedarf nachträglich getauscht werden. Wir versuchen diese Thematik konsequent im Entwurf fortzuführen. So etwa ist die Fassade dem Modul vorgehängt, kann daher für den Transport demontiert und bei Verschleiß leicht getauscht werden. Darüber hinaus soll die Fassade verschiedene ästhetische Ausformulierungen erlauben, um gezielt auf den jeweiligen Kontext eingehen zu können. Im Falle von Ottensheim haben wir uns für eine vorgehängte Holzfassade aus gekalkten Lärchenstäben entschieden. Der Kontext, die felsige Topografie des Donauufers, war auch ausschlaggebend für die Wahl des Fundaments. Durch die Hochwassergefahr und den Untergrund war es naheliegend, einen aufgeständerten Baukörper zu wählen. Nicht nur kann er im Falle des Falles unterspült werden, sondern es wird minimal in das bestehende Gelände eingegriffen und die direkten Bodenversiegelung gering gehalten.
Für Lokalkolorit habt ihr einen Prototypen gebaut. Dazu habt ihr auf einer quasi Miniaturbaustelle gearbeitet und euch von Maßstab 1:200 bis 1:10 „hochgebastelt“. Wie seid ihr vorgegangen und welche Hürden gab es?
Eigentlich war unser Motto „Scheiter dich weiter!“ Aber „Bastle dich hoch“ hat im Kontext der Architektur auch etwas Selbstironisches. Wir haben relativ pragmatisch jede Entwurfsmethode verwendet, die uns weiterhilft. Zugegeben, das Modell hat eine gewichtige Rolle eingenommen. Gewissermaßen geht denken und modellieren sprichwörtlich Hand in Hand. Beim Modellbauen trifft man erstaunlicherweise auch auf ähnliche Fragestellungen wie bei der richtigen Umsetzung. Gleich, ob es so banale Fragen sind wie „Hebt das überhaupt zusammen?“, „Wie ist das nochmal mit der Schwerkraft?“ oder „Wohin mit dem ganzen Müll?“. Die unterschiedlichen Maßstäbe helfen Fragen der Gestaltung und deren Entscheidung zu sortieren und zu gewichten. Letztendlich versichert man sich mit einem Modell gegenüber dem Konzept, der Atmosphäre und der Ästhetik. Herausfordernd war jedoch, seinen eigenen Erwartungen gerecht zu werden und das zu bauen, was man sich vorgestellt hat. Aber auch hier gibt es erstaunliche Ähnlichkeiten zur „großen“ Realität.
Gab es beim Prototyping bestimmte Tätigkeiten, die jeweils nur der bzw. die andere ausführen konnte – wie habt ihr euch ergänzt?
Wir haben uns in vielerlei Hinsicht ergänzt, man könnte nicht behaupten, dass die eine oder der andere nur für gewisse Dinge zuständig war. Das Geheimnis ist wahrscheinlich eher die Ehrlichkeit, die in unserer Teamarbeit besteht. Das kann manchmal durchaus bitter sein, aber ein ehrlicher Diskurs gepaart mit dem Wertschätzen der individuellen Stärken sind wichtige Grundsteine der Zusammenarbeit. Wenn aber dennoch gar nichts mehr geht, hilft allemal ein guter Schmäh und etwas Selbstironie, um das Blatt zu wenden.
Mit Blick auf „Lokalkolorit“ sieht man vor allem leichte, fast schon „luftige“ Optiken eingebettet im Landschaftsgefüge. Könnte man dies als Teil einer nachhaltigen Architektur-Vision bezeichnen?
Vision ist eventuell überspannt. Wir möchten keine Ideologie verfolgen oder irgendeiner Ästhetik verfallen. Es geht vor allem um die intellektuelle Tragfähigkeit des Konzeptes. Wir Menschen sind schon seit jeher von Schönheit angezogen, auch wird unser Leben zunehmend ästhetisiert. Dennoch mangelt es gleichzeitig an Schönheit im Alltäglichen unserer gebauten Umwelt. Eine harmonische und möglichst ganzheitliche Integration der Architektur in den Natur- und Kulturraum sowie ein Blick für die sozio-ökologischen Aspekte werden wohl in Zukunft mehr an Bedeutung gewinnen. Dadurch kann sich auch die ästhetische Wahrnehmung neu orientieren, in unserem Entwurf versuchen wir diese Gedanken einfließen zu lassen.
Was passiert jetzt eigentlich? Wird „Lokalkolorit“ umgesetzt – was sind die nächsten Schritte?
Wir haben seit Abschluss des Studiums vielfältige und unterschiedliche Erfahrungen im Bereich der Architektur und Städtebau sammeln dürfen. Unser Entwurf Lokalkolorit konnte leider noch nicht in die Realität umgesetzt werden, aber so ist das manchmal in der Architektur, wo man öfters Mal Sitzfleisch benötigt. Im Grunde handelt es sich um ein modulares System zum Nachverdichten. Dementsprechend kann es in vielfältiger Form Anwendung finden, und das Thema wird auch immer relevanter. Diesen Sommer haben wir einen weiteren Master an der ETHZ und EPFL im Bereich Urban and Territorial Design abgeschlossen. Das hat uns natürlich ungemein bereichert, neue Welten eröffnet und spannende Ideen geschenkt. Wir sind nun gespannt, wie es weiter geht! Vielleicht ist dieses Interview wieder ein Schritt zu etwas Neuem.
Klar, vielleicht wir Lokalkolorit ja doch noch Realität! Wir drücken euch jedenfalls die Daumen!
Herzlichen Dank!
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